Jerusalem
- jerusalemgang
- 17. Feb. 2022
- 4 Min. Lesezeit

Jetzt sind wir tatsächlich schon fast sechs Monate in Jerusalem – Fast-Halbzeit. Nach fünfeinhalb Monaten dachten wir uns, es wäre mal an der Zeit, ein wenig über unsere neue Heimatstadt und unser (Alltags-)Leben dort zu berichten.
Über Jerusalem, alleine schon die Altstadt bzw. Ostjerusalem (und in dem Zuge natürlich auch über den Konflikt) könnte man wahrscheinlich eine 15-seitige Hausarbeit verfassen und hätte bei weitem immer noch nicht alles gesagt. Deswegen hier jetzt nur ein Auszug, ein minikleiner Einblick in die Faszination dieser Stadt – natürlich wieder vor dem Hintergrund, dass dies alles nur unsere persönlichen Erfahrungen sind. Meiner (Andreas) Ansicht nach ist Jerusalem schwer zu beschreiben. Es ist in jedem Fall sehr vielfältig, kunterbunt und unterschiedlich. Für uns im arabisch-muslimischen Teil der Altstadt ist das Leben zum Beispiel sehr anders als für Menschen, die in der „Weststadt“, also im neuen Teil leben. Für den Begriff Weststadt, mit welchem wir im Prinzip alles außerhalb der Altstadt bzw. die israelischen Stadtteile bezeichnen, wurden wir schon ein bisschen von anderen Volontären, die eben in genau diesem Teil der Stadt leben, ausgelacht. Für sie ist das Gebiet in und um das israelische Zentrum mit der Jaffa Street herum einfach Jerusalem, während sie „unser“ Jerusalem als Altstadt bezeichnen. Unser Alltag ist also eher von Einkaufstrips im „Suq“ (Arabisch für Markt), an den Ständen der Obsthändler und bei unserem Pitamann, sowie von Ausflügen in Cafés in der Altstadt oder in Sheikh Jarrah geprägt.

In der Weststadt kann man aber auch in ganz „normalen“ Läden shoppen bzw. Lebensmittel einkaufen gehen. Was für uns in den ersten paar Monaten noch neu und aufregend war, wie beispielsweise ein Besuch der Klagemauer oder gar auf dem Tempelberg sowie das Spazierengehen durch die Gassen der Altstadt (und der Versuch, dabei nicht hoffnungslos die Orientierung zu verlieren) sind mittlerweile Normalität.
Ich finde das zwar ein bisschen schade, da ich mich teilweise schon dabei erwische, wie ich das interessante und vielfältige Leben hier und die Tatsache, dass ich Jerusalem mittlerweile meine zweite Heimatstadt nennen kann, für selbstverständlich nehme. Andererseits freue ich mich immer noch sehr darüber, mich jetzt schon echt gut in Jerusalem auszukennen und vor allem was die Orientierung betrifft nicht mehr ganz so verloren zu sein. Der Ölberg ist ein weiterer Ort Jerusalems, an welchem wir uns des Öfteren befinden. Mindestens einmal wöchentlich fahren wir dorthin zum Café Auguste Victoria – sei es zum After-Work-Dinner oder für den Arabischkurs (Lea). Mein Hebräischkurs ist seit dem 08. Februar leider beendet, doch ich habe vor, mir weiterhin selbst ein wenig Grammatik und Vokabeln beizubringen. Jerusalem ist natürlich noch viel mehr und um ein Vielfaches größer als nur die Altstadt mit dem Ölberg. Es gibt so viele Stadtteile, von denen wir zwar des Öfteren hören, die wir aber noch nie gesehen haben bzw. in denen wir noch nie waren. Der „Stadtteil“, der wohl noch am ehesten zu unserem Alltag gehört, ist das Stadtzentrum mit der Jaffa Street, auf der wir regelmäßig einkaufen oder in Bars/ Restaurants zu finden sind bzw. auf der ich, Andrea, auch ab und zu in die „King of Kings“-Gemeinde gehe.

Die anderen beiden Stadtteile, in denen wir uns des Öfteren befinden, sind Talpiyot und Sheikh Jarrah. Im israelischen Talpiyot befindet sich zum einen meine Gemeinde, die „Jerusalem Assembly“ und zum anderen das Gebets- und Lobpreishaus „Succat Hallel“, sodass ich dort teilweise mehrmals die Woche bin, sowie eine große Mall, in der wir jetzt auch schon zweimal waren. In Talpiyot waren wir außerdem auch mal in einem Bowling-Center. Talpiyot ist also eher westlich geprägt und schon eher wie Deutschland – ganz im Gegensatz zu Sheikh Jarrah, welches sich in Ostjerusalem befindet. Dort kriegt man die volle Ladung arabischen Flair ab – dieser Stadtteil und Talpiyot sind wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Mir persönlich gefällt es in den arabischen Vierteln aber teilweise sogar echt besser als in den israelischen und sehr westlichen Teilen von Jerusalem, da es einfach etwas komplett anderes als Zuhause ist und auch weil die Atmosphäre – meiner Meinung nach – offener und entspannter ist. In Sheikh Jarrah sind wir vor allem so regelmäßig, da wir (v.a. Lea, Ben, Karla, ich und manchmal noch ein paar der anderen Volontäre) immer Montagabend an einem Workout teilnehmen, bei dem man zusammen in einer Gruppe trainiert. Das ist zwar oft sehr anstrengend aber macht dafür auch wirklich sehr viel Spaß – ich vermisse es immer sehr, wenn es mal (z.B. aufgrund des Wetters oder wegen politischer Spannungen) nicht stattfinden kann. Ein weiterer Ort, der sich zwar ca. 50km vom Zentrum Jerusalems befindet, aber dennoch zur Jerusalem Area gezählt wird und deshalb nicht vergessen werden darf, wenn es um unseren Alltag geht, ist das Kloster Latrun. Einmal im Monat fahren wir Volontäre nämlich mit dorthin zum Gottesdienst der Erlöserkirche, um währenddessen das Kinderprogramm zu veranstalten. Das Gelände von Latrun ist wunderschön und man kann in der Natur dort richtig gut vom teilweise sehr hektischen Jerusalemer Leben runterkommen.

Ein weiterer Stadtteil Jerusalems, welcher sich sehr gut zum Spazierengehen eignet, ist Ein Kerem. Dort in der Nähe befindet sich nicht nur der Mount Herzl mit Herzls Grab (Herzl = der Gründer des Zionismus), dem Herzl-Museum und Yad Vashem (= Holocaustgedenkstätte), sondern auch der „Jerusalem Forest“, ein kleines idyllisches Wäldchen, das mein waldliebhabendes Dorfkind-Herz ein wenig höher schlagen lässt. Ein Kerem liegt dann nochmal ein wenig weiter entfernt, aber man kann dort ebenfalls gut von der Straßenbahnendhaltestelle namens „Mount Herzl“ aus hinspazieren. Lea und mir jedenfalls gefällt es dort sehr. Der Jerusalem Forest bzw. auch der Stadtteil Ein Kerem verkörpern eben nochmal eine ganz andere Seite von dieser tollen Stadt.

Wenn man das Leben genießt, vergeht die Zeit bekanntlich wie im Flug. Kein Wunder, dass wir tatsächlich schon fast bei der Hälfte unseres Jahres in Jerusalem angekommen sind – wir können es kaum glauben. Wir haben diese Stadt auf jeden Fall jetzt schon sehr ins Herz geschlossen und können es kaum erwarten, was sie in den nächsten sechs Monaten noch so für uns bereit hält!!
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