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Nablus

  • Autorenbild: jerusalemgang
    jerusalemgang
  • 1. Dez. 2021
  • 7 Min. Lesezeit


Disclaimer: Im Gegensatz zu den bisherigen Beiträgen auf unserem Blog, die ich (Andrea) verfasst habe, fällt es mir nicht ganz so leicht, die Erlebnisse unserer Reise nach Nablus in Worte zu fassen. Zunächst sei gesagt, dass alle Erfahrungen, die wir im Folgenden schildern werden (so wie alle anderen Beiträge ja auch), aus meiner bzw. unserer persönlichen Sicht heraus formuliert sind. Wir versuchen, das Ganze so neutral und unpolitisch wie möglich zu halten. Mit dieser kleinen Vorwarnung im Hinterkopf wünschen wir dir jetzt viel Spaß mit unseren Erlebnissen in Nablus, Palästina:

Los ging es Sonntagmittag, den 07.11.2021 gegen 14.30 Uhr nach dem Gottesdienst. Wir (Lea und Andrea) gingen zusammen mit Karla, einer Freiwilligen des Berliner Missionswerks, die in der Arabischen Gemeinde bei uns in der Erlöserkirche arbeitet, zum Busbahnhof in Jerusalem. Dort verabschiedeten wir Karla, die zwar auch in unsere Richtung fuhr, deren Bus wir allerdings nicht nehmen konnten, da ein anderer für uns weniger kompliziert war. So nahmen wir die Nummer 218 nach Ramallah, um von dort aus weiter nach Nablus zu fahren. Die Fahrt nach Ramallah verlief reibungslos, vor allem weil man, wenn man von Israel nach Palästina fährt, am Checkpoint nicht kontrolliert wird. In Ramallah angekommen trafen wir uns zunächst mit Ben, welcher bereits dort die Nacht zuvor bei zwei weiteren Freiwilligen, deren Einsatzstelle sich in Ramallah befindet, verbracht hatte. Ramallah bzw. Palästina allgemein und Jerusalem sind zwei komplett verschiedene Welten, ein Unterschied wie Tag und Nacht. Kaum fährt man über die Grenze, verändert sich die Landschaft und die Atmosphäre – man taucht komplett in die arabische Kultur ein und so nahmen wir (Lea und Andrea), die ja bisher nur Jerusalem gewohnt waren, jeden neuen Eindruck fasziniert in uns auf. Bevor es für uns zu dritt mit dem Service – eine Art Sammeltaxi, welches neben den normalen Taxis das einzige öffentliche Verkehrsmittel in Palästina ist – auf die ca. zweistündige Fahrt ins 85km entfernte Nablus ging, schlenderten wir noch über den Markt in Ramallah. Die Preise dort sind wirklich unschlagbar – einen Schekel (umgerechnet ca. 0,25€) zahlt man hier für das Kilo Gurken, sowie umgerechnet einen Euro für das Kilo Zucchini. Zurück beim Busbahnhof bzw. der Service-Station, stiegen wir ins Service und machten uns auf den Weg nach Nablus. Auf der Fahrt kamen wir an überraschend vielen israelischen Siedlungen vorbei – wir hatten nicht erwartet, so viele zu sehen. Eine davon ist sehr groß und schwer von israelischen Soldaten bewacht, mit eigenem Kreisverkehr und riesigem Schild, welches den Namen der Siedlung abbildet. Für uns Deutsche schon etwas ungewohnt, wenn man aus dem Fenster sieht und dabei in den Lauf der Waffe eines jederzeit schießbereiten Scharfschützen blickt… Bei untergehender Sonne konnten wir unseren Blick kaum weg vom Fenster reißen, da alles so ungewohnt und anders war. Als wir in Nablus ankamen, war es bereits dunkel, und wir suchten unser Hostel. Das „Success Hostel“ in der Altstadt von Nablus könnte fast einen komplett eigenen Blogbeitrag vertragen: Etwas versteckt gelegen und ziemlich heruntergekommen sowie nicht sehr sauber, wurden wir dort allerdings sehr herzlich von Bakr, dem Besitzer des Hostels empfangen. Merk‘ dir den Namen Bakr, er wird auf unserem Nablus-Abenteuer noch eine etwas größere Rolle spielen… Bakr erzählte uns ein wenig davon, was man in Nablus alles so als Tourist machen kann, bevor er uns den Gemeinschaftsraum (mit unzähligen Schachbrettern – Bakr ist ein großer Schachfan und wollte uns schon dazu überreden, eine Runde gegen ihn zu spielen) sowie das Bad und die Küche zeigte. Dann ging es weiter in unser „Dormitory“, einen Raum mit zwei Stockbetten und einem normalen Bett. Wir waren etwas perplex als wir erfuhren, dass wir noch einen Mitbewohner haben würden – den Namen haben wir leider schon vergessen aber Bakr stellte ihn uns als den Finanzmanager des Hostels vor, der wohl hauptberuflich Chemiker ist und nebenbei mit Bakr im Hostel arbeitet. Bakr selbst ist hauptberuflich übrigens Ingenieur. Gegen einen Aufpreis (wir zahlten jeder nur umgerechnet 15 Euro für die eine Nacht) hätten wir auch einen Raum zu dritt haben können, doch dafür waren wir als Volos dann doch zu geizig. So arrangierten wir uns mit unserem Mitbewohner, der anscheinend dort für längere Zeit wohnte, da er seine ganzen Klamotten über das gesamte Zimmer verteilt hatte. Krank war der gute Mann leider auch noch, sodass er in der Nacht sehr laut schnarchte. Doch so weit sind wir eigentlich noch gar nicht: Nachdem wir eingecheckt hatten, gingen wir nochmal auf die Straßen von Nablus, um uns etwas zu essen zu kaufen. War das erledigt, kehrten wir ins Hostel zurück und verspeisten unser sehr günstig erworbenes Abendessen im Gemeinschaftsraum, den wir komplett für uns alleine hatten. Bei offenem Fenster genossen wir den Blick über die Häuser und auf die beiden berühmten Berge von Nablus, Ebal und Garizim. Akustisch wurde dieser schöne Anblick allerdings von nicht sehr weit entfernt klingenden Schüssen untermalt…

Nablus bei Nacht

Gut gesättigt brachen wir ein weiteres Mal gegen 22.00 Uhr auf, um noch ein wenig die Straßen Nablus‘ zu erkunden. Wir liefen durch komplett menschenleere Gassen zu einem nahegelegenen Park, in welchem wir dann ein wenig die bisherigen Eindrücke rekapitulierten, bevor wir auch schon bald sehr müde wieder zurück ins Hostel und ins Bett gingen.

Nach einer ganz merkwürdigen und eher weniger erholsamen Nacht inklusive extrem lautem Geschnarche unseres geliebten Zimmerkollegen und Muezzin gegen 4.00 Uhr morgens wachten wir gegen 8.30 Uhr am nächsten Tag auf und machten uns auf den Weg, etwas zu frühstücken zu suchen. Nachdem wir Brot, Hummus und Falafel gekauft hatten, kehrten wir zurück ins Hostel, um dort unseren Einkauf zu verzehren. Währenddessen besprachen wir unser weiteres Vorgehen und einigten uns darauf, Bakrs Angebot vom Vortag, mit ihm zusammen auf den Berg Garizim zu fahren, anzunehmen. So brachen wir gegen 9.30 Uhr mit Bakr auf. Nach einer wilden Taxifahrt betraten wir etwas erstaunt den israelischen Nationalpark, der sich mitten auf dem Berg Garizim befindet. Wir hatten nicht damit gerechnet, im Herzen der West Bank einen israelischen Nationalpark vorzufinden – Bakr hatte den Abend zuvor die ganze Zeit nur von der israelischen „Army“ dort auf dem Berg geredet. Empfangen wurden wir von Ilan, einem Israeli, der besagten Nationalpark leitet und der ein guter Bekannter bzw. Freund von Bakr ist. Auch hier waren wir wieder sehr dankbar für unsere Jahres-Nationalparkkarten, aufgrund derer wir keinen Eintritt zahlen mussten. Ilan ist eine interessante und schwer zu beschreibende Persönlichkeit – was uns besonders im Gedächtnis von ihm geblieben ist (neben seinem Spaß am Pfeifen und etwas merkwürdigem Humor), ist die Schusswaffe, die er die ganze Zeit über einfach so bei sich getragen hatte. Gründe wird dieses Equipment wohl haben; immerhin befindet sich dieses israelische Gebiet mitten in der tiefsten West Bank.

Ausblick vom Berg Garizim

Nach einer interessanten Privatführung von Ilan höchstpersönlich, bei der wir einiges über die Geschichte und die biblische Relevanz des Berges sowie die des anderen Berges Ibal erfuhren, verließen wir das Nationalparkgelände und liefen ein Stück den Berg hinunter durch die um den Nationalpark gelegene Ortschaft Kiryat Luza. Diese ist deshalb sehr interessant, da sie eine der letzten beiden Samariter-Communities auf der Welt ist – die andere befindet sich in der Nähe von Tel Aviv und umfasst (ebenso wie die auf dem Berg Garizim) knapp 400 Mitglieder. Insgesamt gibt es also auf der Welt nur noch ungefähr 800 Samariter; deren Geschichte und Verbindung bzw. Unterschied zum Judentum ist sehr interessant und lässt sich gut auf Wikipedia nachlesen.

Das Samariterdorf

Nachdem Bakr uns auf dem Weg durch das Dorf noch ein wenig zu den Samaritanern erklärt hatte, nahmen wir für den restlichen Weg des Berges ein Taxi. Auch hier war die Fahrt sehr interessant, da wir uns zunächst zu viert (Andrea, Lea, Ben und Bakr) auf die Rückbank eines halb kaputten Taxis quetschten, bevor wir in ein anderes (und etwas sichereres) Taxi wechselten. In Nablus angekommen, besichtigten wir zwei Moscheen – in die wir ohne Bakr wahrscheinlich nicht so einfach hineingekommen wären – bevor wir noch eine Ladung „Knafeh“ kauften und uns von Bakr verabschiedeten. Knafeh ist eine orientalische Spezialität, die in der arabischen und türkischen Welt weit verbreitet ist, welche aber ihren Ursprung vermutlich in Nablus hat. Sie ist eine Süßspeise bestehend aus einem speziellen Käse und einem besonderen Gebäck namens „Kadayif“.

Als nächstes ging es ohne Bakr weiter und wir liefen eine Weile durch Nablus auf der Suche nach einem Taxi bzw. Service, welches uns zum Balata-Flüchtlingscamp bringen würde. Dieses ist das größte Flüchtlingscamp in der West Bank und entstand im Zuge der Annexion Jaffas von 1948-1950 durch die israelische Regierung und die daraus resultierende Vertreibung der dort lebenden arabischen Bevölkerung. Die Besichtigung des Flüchtlingscamps, welches man sich nicht als klassisches Flüchtlingscamp vorstellen kann, da die Leute dort schon sehr lange und dementsprechend mittlerweile in festen Häusern leben, war für uns drei definitiv das prägendste Erlebnis während unseres Nablus-Trips. Das Camp ist eigentlich absolut keine Touristenattraktion und wir wussten auch nur von dessen Existenz, weil Ben den Abend zuvor in Ramallah eine Dokumentation darüber gesehen hatte. Nachdem es erstmal eine Weile gedauert hatte, bis wir mit unseren fünf Arabisch-Wörtern ein Taxi gefunden hatten, welches uns dorthin bringen konnte, betraten wir das Camp. Es ist sehr schwer, alle Eindrücke, die wir daraus mitnahmen, in Worte zu fassen. Vor allem die Kinder, aber eigentlich auch alle anderen Menschen denen wir dort begegneten, starrten uns an als wären wir aus einer komplett anderen Welt und versuchten, uns mit ihren geringen Englischkenntnissen zu kontaktieren. Mit einem Mann, der am Straßenrand saß, „unterhielten“ wir uns ein wenig länger, wobei man das leider nicht Unterhaltung nennen kann, da weder wir genug Arabisch noch er genug Englisch für ein richtiges Gespräch beherrschten. Trotz dessen, dass wir wahrscheinlich nie das Ausmaß der Not und Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge dort nachvollziehen können werden, hat uns der Besuch des Camps in gewisser Weise schockiert und definitiv zum Nachdenken angeregt.


Balata

Vor allem als wir das Camp verlassen hatten und die Straße überquert hatten, um uns die direkt gegenüber von dem Camp liegende griechisch-orthodoxe Kirche beim Jakobsbrunnen anzusehen, realisierten wir die krasse Gegensätzlichkeit des Lebens der Flüchtlinge und das der Touristen (inklusive uns), die tagtäglich in Massen zu besagter Kirche strömen. Zwei komplett gegensätzliche Lebenswelten, getrennt durch eine einzige Straße.

Die Kirche beim Jakobsbrunnen

Bei der Kirche angekommen, besichtigten wir diese. Ben trank das berühmte Wasser des Jakobsbrunnens (das ist der Brunnen, an dem die Geschichte von Jesus mit der Samariterfrau stattgefunden hat) und wir setzten uns in den Hof der Kirche. Dieser ist sehr schön bepflanzt und auch extrem ruhig im Gegensatz zum Lärm der Straße. Nachdem wir dort eine ca. 30-minütige Pause gemacht und unser Knafeh verzehrt hatten, brachen wir gegen 14.45 Uhr wieder auf zurück in die Innenstadt Nablus‘. Von dort ging es mit dem Bus zurück nach Ramallah, wo wir noch kurz auf dem Markt einkaufen gingen. Andrea fuhr dann gegen 17 Uhr schon zurück nach Jerusalem, während Ben und Lea sich noch mit den beiden zu Beginn erwähnten Freiwilligen in Ramallah trafen, um mit ihnen den restlichen Abend zu verbringen.

So endete unser erstes richtiges Abenteuer in Palästina. Auch wenn wir jetzt, zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Blogbeitrags (3 Tage nach unserem Ausflug), immer noch nicht alle Erlebnisse so richtig realisiert und verarbeitet haben, sind wir extrem dankbar dafür, dass wir solch wertvolle Erfahrungen machen und auch mal diese Seite des Landes erleben durften.



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