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Hebron Teil Eins

  • Autorenbild: jerusalemgang
    jerusalemgang
  • 31. Mai 2022
  • 15 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 1. Juni 2022



Am 30. Mai 2022 bin ich, Andrea, auf ein Abenteuer gegangen, wovon viele mir vielleicht abgeraten hätten – ich bin alleine nach Hebron gefahren, und das auch noch einen Tag nach dem sogenannten „Jerusalem Tag“, den ich in diesem Beitrag noch etwas genauer erklären werde. Ich hätte das nicht gemacht, hätte ich in Hebron nicht jemanden gekannt, die mir die Stadt zeigen konnte. Es war ein wahnsinnig spannendes und tolles Erlebnis und ich bin unendlich froh, dass ich diese Chance bekommen und genutzt habe.

Um zu verstehen, warum Hebron ein ziemlicher Brennpunkt des Nahostkonfliktes ist, in dem regelmäßig heftige Zusammenstöße zwischen israelischem Militär bzw. israelischen Siedlern und der palästinensischen Bevölkerung stattfinden, muss man wissen, dass Hebron in der West Bank und dann sogar noch in der A-Zone liegt. Die West Bank ist in drei Zonen aufgeteilt – A, B und C – wobei in der A-Zone laut den Osloer Verträgen die palästinensische Regierung und Polizei volle Entscheidungsgewalt haben ohne dass dort Israel etwas „zu sagen“ hat. Eigentlich. Da gibt es dann nämlich noch die Siedlungsbewegung bzw. -politik, die bewirkt, dass sich in allen drei Zonen, also auch in der A-Zone, (meist sehr radikale, zionistische) Israelis ansiedeln und so gegen internationales und teilweise sogar gegen israelisches Recht dort illegal Häuser bauen. Die Siedlungsbewegung ist also wohl mit der größte Grund, warum eine Zwei-Staaten-Lösung mittlerweile unmöglich geworden ist.


Quelle: https://www.researchgate.net/publication/274405664/figure/fig6/AS:268813459521536@1441101531220/Map-showing-the-territory-under-Palestinian-control-and-Israeli-settlements-in-the-West_Q640.jpg

Die Siedler, die in der A-Zone leben, sind zum Großteil schwer bewaffnet, tragen große Maschinenpistolen mit sich herum und schrecken auch nicht davor zurück, diese einzusetzen. Dazu kommen des Öfteren vollkommen unbegründete, gewaltsame und nicht selten tödlich endende Angriffe auf die palästinensische Bevölkerung, da die Siedler wie bereits erwähnt zum Großteil sehr radikale Zionisten sind, die ihre Ideologie mit Gewalt und Aggression durchzusetzen versuchen. Hebron ist ein sehr besonderer Ort was die Siedlungsproblematik in der A-Zone angeht – die Stadt ist nämlich die einzige, in dessen Kern sich israelische Siedlungen befinden, was dazu führt, dass es in der Stadt selbst Checkpoints gibt und Straßen, die jeweils nur Israelis bzw. Palästinenser betreten dürfen. Des Weiteren gibt es dort noch andere Absurditäten wie beispielsweise Netze, die die Palästinenser zum Schutz über ihre Straßen gespannt haben, da in den oberen Stockwerken der Häuser Siedler wohnen, die regelmäßig Steine, ihren Müll und sonstige schädliche Dinge auf die Straßen werfen. Viel habe ich von dieser Konfliktsituation allerdings bei meinem Besuch in Hebron nicht mitbekommen, da ich mit meiner palästinensischen Freundin Asmaa unterwegs war und sie diese ganz gefährlichen Gebiete meidet (wobei man natürlich nie zu 100% eine Begegnung mit einem Siedler vermeiden kann). Ein Student der Dormitio-Abtei beispielsweise hatte mir die Woche zuvor von dessen Besuch in Hebron erzählt und meinte, dass seine Mitstudenten und er in eine ziemlich heftige Auseinandersetzung zwischen Siedlern und Palästinensern geraten waren, bei der links und rechts von ihnen Steine geworfen wurden. Ihnen selbst ist aber – bis auf den Schock – zum Glück nichts passiert. In naher Zukunft werden wir auch mal noch eine Führung durch Hebron mitmachen, bei welcher ich dann mehr über die politische Situation erfahren und wahrscheinlich auch davon berichten werde – deshalb heißt dieser Blogbeitrag vorerst „Hebron Teil Eins“.

Jetzt aber zu meinen Erlebnissen vom 30. Mai: Nachdem ich am Vortag von MitvolontärInnen, die bereits in Hebron gewesen waren, erklärt bekommen hatte, wie man am besten nach Hebron kommt, bin ich deren Rat gefolgt und erstmal mit dem Bus 231 bis zu dessen Endstation in Bethlehem gefahren. Dort bin ich ein kleines Stück zur Service-Station gelaufen, von wo aus die Services nach Hebron fahren. Für zehn Shekel ging es daraufhin weiter nach Hebron. Dort bin ich relativ nah am Stadtrand ausgestiegen, um meine Freundin Asmaa zu treffen. Ich habe Asmaa tatsächlich bei der Arbeit kennengelernt, als ich an „Lailat Al-Qadr“ Rezeptionsdienstvertretung in der Kirche hatte und sie zu genau dieser Zeit die Kirche besucht hat. Wir haben uns ein wenig unterhalten und als sie erzählt hatte, dass sie aus Hebron ist, habe ich sie nach ihrer Nummer gefragt und sie darum gebeten, sie einmal besuchen zu dürfen. Seitdem hatten wir ziemlich regelmäßigen Kontakt über Whatsapp und schließlich hat es endlich mal geklappt, dass ich sie besuchen konnte. So waren die Leute im Service etwas verwundert, dass ich schon so weit vom Stadtzentrum entfernt aussteigen wollte aber ich meinte, ich würde dort eine Freundin treffen, also ließen sie mich gehen. Schon bevor ich aus dem Service gestiegen bin, habe ich mich sehr darüber gewundert, wie ähnlich Hebron doch zu den anderen palästinensischen Städten, die ich schon kannte, ist. Ich hatte mir Hebron immer so vorgestellt wie in „Fauda“, einer israelischen Netflixserie, die ich bereits in Deutschland angesehen hatte und die größtenteils in Hebron gedreht wurde – darin sah die Stadt aber komplett anders aus als ich sie jetzt kennengelernt habe.



Hebron ist sehr ähnlich zu Nablus oder Ramallah und so haben sich die Straßen dort direkt vertraut angefühlt, sodass meine anfängliche Nervosität sich gleich legte. Bevor ich angekommen bin, war ich nämlich ein wenig angespannt gewesen, da ich schon einiges über die dortige politische Lage wusste und mir die Stadt so vorgestellt hatte, dass dort überall Checkpoints sind. Wenn man sich allerdings nur im palästinensischen Teil und weit weg von der Altstadt bewegt, ist Hebron wirklich wie jede andere palästinensische Stadt auch. Zudem kam die Aufregung auch daher, dass es das erste Mal war, dass ich in eine komplett neue Stadt alleine gefahren bin, und dann ja auch noch ohne ein Wort Arabisch zu sprechen. Zudem bin ich ja eben auch noch direkt nach Hebron gefahren, genau einen Tag nach dem Jerusalem-Tag, an welchem die Israelis und dabei insbesondere viele rechtsradikale Siedler den Sieg des Sechs-Tage-Krieges im Jahr 1967 und somit die momentane illegale Besetzung Ostjerusalems feiern.

Die Israelis feiern diesen Tag mit einem riesigen Flaggenmarsch um und durch die komplette Altstadt Jerusalems, bei welchem es an besagtem Tag (29. Mai) wie zu erwarten zu heftigen Ausschreitungen gekommen ist. Als Antwort auf diesen Tag hatten Hamas im Jahr zuvor die ersten Raketen in Richtung Jerusalem geschossen und auch dieses Jahr war es nicht wirklich friedlich verlaufen. Die Siedler waren sehr aggressiv, sind mit Stöcken durch die Gegend gelaufen und haben Palästinenser verprügelt bzw. mit Pfefferspray angesprüht, haben rassistische und anti-palästinensische Slogans gerufen und waren generell extrem gewaltbereit und angriffslustig. Ich hatte diesen Tag mit zwei Freundinnen in Tel Aviv verbracht und hatte deshalb nicht so viel von dem Marsch mitbekommen – nur bei unserer Rückkehr war die Altstadt abgesperrt und wir sind riesigen Massen von fahnenschwenkenden Israelis begegnet. Lea und die Volos aus dem Johanniterhospiz dagegen haben den Marsch hautnah miterlebt: Sie waren im Österreichischen Hospiz, also direkt an der Strecke zum Tempelberg im oberen Stockwerk am Fenster gestanden und haben die Menschenmengen so von oben beobachtet. Dabei haben viele, vor allem jugendliche Siedler ihnen den Mittelfinger gezeigt und ihnen Sprüche wie „Wir wünschen euch, dass Putin zu euch nach Deutschland kommt und euch fickt“ oder „Jesus ist ein Hurensohn“ zugerufen. Diese Aktion verdeutlicht auf jeden Fall ganz gut die Aggressivität und Gewaltbereitschaft der Siedler – nicht nur gegen Palästinenser, sondern offensichtlich gegen alles und jeden, der nicht jüdisch ist bzw. der nicht deren radikale Ansichten teilt. Zum Glück waren Lea & Co. im Österreichischen Hospiz sicher, konnten dieses aber leider auch nicht verlassen, bis der Marsch gegen 20 Uhr abends vorbei war.

Der Flaggenmarsch am "Jerusalem-Tag"

Als ich am nächsten Tag in Hebron war, habe ich nicht wirklich etwas von eventuellen Nachwirkungen dieses Tages mitbekommen – lediglich auf unserem Weg in die Altstadt sind Asmaa und ich einmal an einer Versammlung von Palästinensern vorbeigekommen, die sich wegen dieses Tages versammelt hatten und ihre Palästina-Flaggen schwenkten. Aber erstmal der Reihe nach: In Hebron also angekommen fand ich Asmaa zunächst nicht, da sie noch nicht an dem Ort war, den wir als Treffpunkt ausgemacht hatten. Außerdem kamen irgendwann meine Whatsapp-Nachrichten nicht mehr bei ihr an, weil sie, wie sie mir später erzählte, gerade ihre Handykarte gewechselt hatte. Ich machte mir aber erstmal keine Gedanken und war überzeugt davon, dass schon alles gut gehen würde und wir uns finden würden. Nachdem ich so ca. 20 Minuten gewartet hatte und zwischendurch noch den Standort gewechselt hatte in Richtung des Cafés, welches sie mir kurz vor der Whatsapp-Problematik noch gesendet hatte (das Jaffa-Café, sehr empfehlenswert!) kam sie auf einmal grinsend über die Straße gelaufen. Ich freute mich sehr sie zu sehen und war auch ein bisschen erleichtert, dass wir uns doch noch gefunden hatten. Als nächstes gingen wir in das bereits erwähnte Café, wo wir uns beide „Limo-Nana“ kauften – ein palästinensisches Getränk was aus ganz viel Minze („Nana“ auf Arabisch) und Zitronenlimonade besteht und unglaublich lecker ist.

"Limo-Nana"

Besser gesagt, sie kaufte mir das Getränk. Den ganzen Tag lang erlaubte sie mir nicht, selbst etwas zu zahlen und ich war wohl gezwungen, mich bei allem einladen zu lassen. Typisch palästinensisch eben. Außerdem bestellte Asmaa uns noch eine weitere palästinensische Spezialität – frittierte Teigkugeln mit geschmolzener Schokolade übergossen. Sehr lecker, aber auch sehr süß. Nachdem wir uns eine Weile (mithilfe von Google-Übersetzer – ihr Englisch ist nicht ganz so gut aber immer noch zehntausend Mal besser als mein Arabisch) darüber unterhalten hatten, wie wir unseren Tag hier gestalten wollten und was ich alles sehen wollte, gingen wir als nächstes Richtung Altstadt. Unterwegs zeigte sie mir noch ihre alte Grundschule. Wir konnten einfach reingehen und gerieten mitten in eine „Graduation Feier“ für einen Grundschul-Jahrgang. Auch ein palästinensischer Brauch, dass der Abschluss jedes Jahrgangs und nicht nur des Abschlussjahrgangs mit einer großen Abschiedsfeier zelebriert wird. Das war unglaublich süß mitanzusehen, wie die kleinen, vielleicht 6-7-jährigen Jungs und Mädels ihre einstudierte Choreografie zu einem Kinderlied tanzten. Alles etwas verschoben und nicht wirklich aufeinander abgestimmt, doch genau das machte es noch niedlicher.


Eigentlich wollte Asmaa, dass ich dort ihre Schwester treffe, deren Sohn wohl dort zur Schule geht, doch leider haben wir sie nicht gefunden. Also ging es weiter in Richtung Altstadt, nochmals mit zwei Abstechern. Zunächst in ein Hochhaus in den siebten Stock, da Asmaa mir dort die Aussicht über Hebron zeigen wollte und anschließend ins „Hebron Center“, eine riesige Mall mit vielen Stockwerken und zahlreichen Geschäften, die richtig modern ist. Irgendwie gar nicht typisch für Palästina und ich habe mich eher wie in Dubai oder so gefühlt. In die Mall sind wir gegangen, weil Asmaa mir einige ihrer Freunde und Freundinnen vorstellen wollte, die dort arbeiten.

Das Hebron-Center

Nachdem wir das also erledigt hatten, ging es weiter auf unserem Weg in Richtung Altstadt. Unterwegs sahen wir viele Jugendliche, die gerade Schule aus hatten und unterhielten uns dabei darüber, wie es für Asmaa ist, in Hebron zu leben. Sie meinte, dass es wirklich nicht ungefährlich für sie ist, dort zu leben, was ich ihr sofort glaubte. Außerdem erzählte sie mir davon, dass ihr 14-jähriger Cousin für einige Zeit in einem israelischen Gefängnis gewesen war, was wohl schrecklicher gewesen sein muss, als mein europäisches Hirn sich überhaupt ausmalen kann. Ihre Geschichten haben mich, trotz dessen, dass sie keine wirklichen Details davon erzählt hat, was sie oder ihre Familienmitglieder bereits unter der israelischen Besatzung erleben mussten, ziemlich mitgenommen. Ich hatte zuvor bereits von vielen, teilweise auch sehr jungen Menschen gehört, die beispielsweise in ein israelisches Gefängnis mussten, doch das Ganze von jemandem zu hören, der selbst oder dessen Familienmitglied ähnliches erlebt hat, ist nochmal etwas komplett anderes. Schließlich kamen wir an der bereits erwähnten Versammlung zum „Jerusalem-Day“ vorbei und waren dann auch schon in der Altstadt angelangt. Wir liefen durch die engen und dunklen, aber auch angenehm kühlen Gassen (es war ziemlich heiß gewesen an diesem Tag) und ich bemerkte die über meinem Kopf gespannten Netze.


Eigentlich mag ich die Altstädte dieses Landes sehr gerne, doch in Hebron ist es schon irgendwie unheimlich, wobei ich mich dank Asmaa zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt habe. Wahrscheinlich war ich allerdings sogar mehr Schutz für sie als umgekehrt – sie erzählte mir, dass sie ohne mich nie hierhin gegangen wäre bzw. es nur ungerne tut, da es eben sein kann, dass man von einem Siedler angegriffen wird oder Probleme mit dem israelischen Militär bekommt, das in Hebron ebenfalls sehr präsent ist. Als sie das sagte, war ich zwar etwas schockiert, habe mich aber auch ein wenig gefreut, dass sie auch (wenn nur einen kleinen) Nutzen von mir hatte und nicht nur umgekehrt. In den Gassen der Altstadt entdeckte ich zudem einige Tafeln, die Entwicklungsprojekte in Zusammenarbeit mit dem deutschen Staat würdigten. So liefen wir (bzw. nur ich) nichtsahnend durch die Gassen, als Asmaa auf einmal nach rechts deutete und meinte „Andi, look!“. Als ich meinen Kopf in besagte Richtung drehte, wusste ich erstmal nicht, was sie meinte, bevor ich die vielen israelischen Flaggen erkannte, die vor einem riesigen und noch relativ neuen Gebäude aufgereiht waren. Als wir näher herangingen, sah ich zudem eine (relativ niedrige) Mauer und einen kleinen Wachtturm. Mir entwich ein verstehendes aber auch etwas negativ überraschtes „Ohhh“. Vor uns befand sich also plötzlich, inmitten der ansonsten komplett arabischen Altstadt Hebrons, das erste Anzeichen von israelischer Präsenz.


Wir gingen weiter und stießen auch irgendwann auf israelische Soldaten. Außerdem meinte Asmaa nach ein paar Minuten, die wir weiter in dieselbe Richtung gelaufen waren, dass dort die Straßen anfingen, die sie nicht mehr betreten darf. Schließlich fand ich sogar den israelischen Busbahnhof, an welchem der Siedlerbus nach Jerusalem abfährt und mit dem ich eigentlich auch geplant hatte, zurück nach Jerusalem zu fahren. Asmaa meinte, dass sie gar nichts von dem Bus geschweige denn von der Existenz dieses Busbahnhofes wusste. Generell waren die Straßen sehr leer und wir begegneten niemandem außer einem Siedler, der uns zwar anstarrte, dann aber friedlich seines Weges ging. Er war zum Glück alleine unterwegs und auch nicht bewaffnet gewesen – wer weiß wie diese Begegnung sonst geendet hätte. Als nächstes stand die „Al-Ibrahimi-Moschee“ auf unserem Programm. Diese war der größte Grund warum wir in die Altstadt gegangen waren und bildet außerdem den Hauptstreitpunkt um Hebron, der dazu führt, dass sowohl Juden als auch Muslime in dieser Stadt leben wollen. Wie der Name der Moschee schon sagt, befindet sich in dieser das mutmaßliche Grab von Abraham und den anderen Patriarchen (des jüdischen Glaubens) und da Abraham bekanntlich für alle drei Weltreligionen eine wichtige Rolle spielt, gibt es eben Konflikte um das Grab. Momentan ist das Ganze so „gelöst“, dass sich auf der einen Seite eine Moschee befindet, die nur Muslime und Christen betreten dürfen und auf der anderen Seite eine Synagoge, von der aus Juden am Grab beten können. Auch wieder eine bizarre Situation, zu wissen, dass gerade nur eine dünne Holzwand die beiden Konfliktparteien voneinander trennt und dass jeder gerade von seiner Seite auf das Grab blickt. Bevor wir die Moschee betraten, liefen wir durch einen Checkpoint, an welchem unsere Taschen und unsere Religionszugehörigkeit kontrolliert wurden.


Wäre eine von uns beiden jüdisch gewesen, hätte diejenige die Moschee nicht betreten dürfen. Die Stimmung am Checkpoint war total entspannt und locker – trotz dessen, dass beide Soldaten dort von der israelischen Armee waren, sprachen beide Arabisch und Asmaa scherzte mit ihnen. Ich glaube, die beiden kannten sie auch und sie meinte, dass hier alle Soldaten Arabisch sprechen. Mit dem Soldaten, der mich kontrollierte, redete ich ein wenig Hebräisch und es war wirklich eine ganz besondere Situation, die beiden Soldaten so locker mit der offensichtlich palästinensischen und muslimischen Asmaa umgehen zu sehen. Schließlich hatte ich die Frage danach, ob ich muslimisch oder christlich sei, mit „nozri´“, also „christlich“ beantwortet und wir betraten die Moschee. Diese war erstaunlicherweise komplett leer und es tat gut, von den etwas beklemmenden Checkpoints an diesem stillen Ort kurz verschnaufen zu können.

Al-Ibrahimi-Moschee

Asmaa führte mich ein wenig herum und wir gingen zum Grab von Abraham. Durch ein Gitter konnte man dort auf einen riesigen Schrein blicken, in dem sich wohl die Überreste Abrahams und seiner Nachkommen befinden sollen.

Abrahams Grab

Schließlich verließen wir, nachdem zwei kleine Jungs und ein kleines Mädchen (alle drei vielleicht so zwischen sechs und neun Jahre alt) Asmaa auf mich angesprochen hatten und sie gefragt hatten, ob ich ihre Schwester sei (was übrigens bereits viele Leute zuvor schon vermutet hatten). Sie verneinte dies lachend und wir verließen die Moschee, wo ich meinen hellblauen, mönchskuttenähnlichen Anzug, den ich am Eingang bekommen hatte, wieder ablegte. Draußen angekommen erschlug uns die Hitze und wir machten uns auf den Heimweg, obwohl mir Asmaa eigentlich noch eine weitere Sache in Hebron zeigen wollte. Diese war aber zu Fuß zu weit weg und da wir beide von der Hitze sehr müde und fertig waren, machten wir uns auf den Heimweg zu Asmaas Zuhause. Unterwegs kauften wir noch ein paar Snacks und Getränke für später am Abend ein – wobei Asmaa mich schon wieder nicht zahlen ließ. Nachdem wir eine Weile gelaufen waren, nahmen wir für die restliche Strecke den Bus (rate mal, wer diesen gezahlt hat?!) und Asmaa führte mich zu ihrem Zuhause. Ihre Familie lebt etwas außerhalb der Stadt (ziemlich dort, wo ich zu Beginn aus dem Service gestiegen bin und Asmaa unseren Treffpunkt festgelegt hatte) und schon relativ ländlich gelegen. Sie besitzen ein sehr großes Grundstück, worauf sie selbst Landwirtschaft betreiben und einige Tiere wie Schafe, Hunde, Katzen, Hasen und sogar Pferde halten. In diesem Moment ist mir erst so richtig bewusst geworden, wie viel die palästinensische Bevölkerung eigentlich mit der Übernahme des Landes durch die Israelis verloren hatte – die meisten Menschen, die jetzt in Flüchtlingscamps wie „Balata“ (mehr dazu hier) oder „Aida“ (in Bethlehem) in größter Armut leben, waren vor 1948 bzw. 1967 sehr wohlhabend gewesen und hatten wahrscheinlich alle (oder die meisten) ein so schönes und großes Grundstück besessen wie Asmaa. Obwohl ich schon von Videos ungefähr wusste, was mich erwartete, war es in echt nochmal viel schöner und ich genoss das Grün und das Vogelgezwitscher sehr.


Nachdem wir bei den Pferden und Schafen gewesen waren, machten wir uns auf den Weg zum Haus. Unterwegs trafen wir Asmaas Tante, Mutter und Schwester mit ihrem kleinen Sohn, der unglaublich süß ist. Asmaa stellte mich ihrer Familie vor und wir unterhielten uns ein wenig (vor allem mit ihrer Schwester, die wirklich sehr gut Englisch spricht). Dann gingen wir zu zweit weiter zum Haus, wo wir uns zunächst ein wenig ausruhten und dann eine Portion Mjaddarah aßen, welches Asmaas Mutter extra für mich gekocht hatte. Dieses ist ein palästinensisches Gericht aus Reis und Linsen, welches total lecker und einfach zu machen ist und welches wir schon sehr oft selbst zuhause gekocht hatten. Zuhause hatte es natürlich nie so gut geschmeckt wie jetzt bei Asmaa und wir genossen das Essen sehr.

Mjaddarah

Jetzt im Haus hatte Asmaa auch ihren Hijab abgelegt und sie sah auf einmal wie ein anderer Mensch aus – sie war davor schon sehr hübsch aber mit den offenen Haaren sah sie viel erwachsener und noch hübscher aus. Schließlich stellte sie mir noch ihre kleine vierjährige Nichte und ihren siebenjährigen Neffen vor und zeigte mir anschließend das Haus, das wirklich groß, schön und sauber ist. Aus dem Küchenfenster hat man zudem einen schönen Ausblick auf die etwas entfernt liegenden Hochhäuser Hebrons.


Danach gingen wir ins Wohnzimmer, um uns dort mit ihrer Tante, Mutter und Schwester zu unterhalten, die mittlerweile ebenfalls wieder im Haus waren. Dort zeigte mir Asmaa auch ihre drei Wellensittiche, von denen sie mir schon Videos geschickt hatte. Einen holte ihre Schwester aus dem Käfig und er flatterte erstmal wild durch das Wohnzimmer, während Asmaas kleiner Neffe eifrig versuchte, ihn wieder einzufangen.

Asmaas Wellensittich "Cookie"

Schließlich ging die Uhr immer weiter auf 18 Uhr zu – die Uhrzeit zu der ich eigentlich wieder nach Hause fahren wollte, doch Asmaa wollte mich nicht gehen lassen, bevor ich nicht ihre drei Brüder kennengelernt hatte. Diese sind 18, 20 und 23 Jahre alt und ich weiß ja nicht so ganz was Asmaa sich von diesen Begegnungen erhofft hatte – sie hatte mir davor einmal auf Whatsapp geschrieben, dass ihre Brüder sich sehr auf meinen Besuch freuen und es schon gar nicht mehr erwarten können… Naja. Schließlich kamen alle drei von der Arbeit nach Hause. Diese Situation war wirklich sehr witzig, da Asmaas Brüder, sobald sie den Raum betraten und mich erblickten, sofort wieder rückwärts rausstolperten ohne sich überhaupt vorher umzudrehen. Wahrscheinlich hatten sie nicht damit gerechnet, dass ich einfach schon in ihrem Wohnzimmer sitzen würde und vermutlich wollten sie nicht, dass ich sie direkt so sehe. Auf jeden Fall war es wirklich sehr witzig mit anzusehen, da alle drei nacheinander, vielleicht im Abstand von 10 Minuten, reinkamen und wirklich die exakt selbe Reaktion zeigten – sie verließen das Zimmer schnellstens mit dem Rücken voran und schimpften draußen erstmal auf Arabisch mit den drei Frauen des Hauses, dass diese sie nicht vorgewarnt hatten. Asmaas Vater habe ich leider nicht kennengelernt. Schließlich trauten sich alle drei doch wieder ins Wohnzimmer und ich unterhielt mich mit ihnen ein wenig mit Asmaa und ihrer Schwester als Dolmetscher. Schließlich rauchten wir zum Abschluss des Tages noch zusammen mit Asmaas 20-jährigem Bruder Musa, der definitiv der am wenigsten schüchterne von allen dreien ist und mich mit vielen Fragen löcherte, eine Shisha. Nachdem Asmaas ältester Bruder (sie selbst ist übrigens 24) schnell geduscht hatte, fuhr er mich, nachdem ich mich so gut es ging für alles bei Asmaas Familie bedankt hatte, zusammen mit Asmaa und ihrer Tante in die Innenstadt Hebrons, damit ich von dort aus nach Hause fahren konnte – obwohl sie mir sogar angeboten hatten bei sich zu Hause zu übernachten, was ich leider nicht annehmen konnte, da ich am nächsten Tag wieder arbeiten musste. Schließlich lieferten sie mich bei einem privaten Service ab, welches mich für 30 Shekel nach Jerusalem fuhr (obwohl ich lieber den günstigeren israelischen Bus genommen hätte, aber so war ich auf jeden Fall schneller zuhause). So verabschiedete ich mich von Asmaa, ihrem Bruder und ihrer Tante und fuhr, nachdem ich noch eine Weile im Service warten musste, nach Jerusalem.

Diese Fahrt war ebenfalls nochmal etwas spannend: Eigentlich war die Fahrt so toll wie immer (ich liebe Servicefahrten), doch ich war todmüde von den vielen Eindrücken des Tages und schließlich wurde unser Wagen am Checkpoint rausgezogen. Da ich die einzige Nicht-Palästinenserin in einem Auto voller männlicher Palästinenser war, wollte der Soldat am Checkpoint nur meinen Pass sehen und fragte mich: „What’s your business in Hebron?“, worauf ich eigentlich gerne geantwortet hätte „None of yours“. Habe ich natürlich nicht gemacht und schließlich einfach die Antwort wiederholt, die er mir bereits in den Mund gelegt hatte: „Visiting“. Damit hatte sich die Sache auch schon erledigt und wir konnten weiterfahren, wobei ich schon ganz schönes Herzklopfen nach dieser Kontrolle hatte – zuvor war ich am Checkpoint bisher nie irgendetwas gefragt worden und ich glaube, dass die Soldaten am Checkpoint nicht so gerne hören, dass man in Palästina Leute kennt. Wahrscheinlich wurde ich auch einfach gefragt, weil ich alleine unterwegs war und Touristen in der Regel wohl eher nicht alleine in die West Bank fahren. Schließlich verlief der Rest der Fahrt reibungslos, ich wurde am Damascus Gate rausgelassen und trat den Rest meines Heimweges an. Zuhause unterhielt ich mich noch kurz mit Lea und Nathi, duschte und fiel dann auch schon nach diesem tollen Tag ins Bett.

Was soll ich sagen – ich würde am liebsten nächstes Wochenende gleich wieder Asmaa besuchen und freue mich schon auf das nächste Mal, wenn ich die Gelegenheit dazu haben werde. Bis dahin bin ich einfach nur unendlich dankbar dafür, so eine tolle Frau als Freundin zu haben und hoffe sehr, dass sie auch mal noch die Chance bekommen wird, mich in Jerusalem besuchen zu können.

Asmaa, ich & Jassir Arafat :P




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