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Ostern und Pessach

  • Autorenbild: jerusalemgang
    jerusalemgang
  • 24. Apr. 2022
  • 14 Min. Lesezeit


Die Zeit rennt und auf einmal ist es Ostern in Jerusalem. Und zugleich Pessach sowie – nicht zu vergessen – Ramadan. Es kommt nur extrem selten vor, dass diese großen Feste der drei Weltreligionen gleichzeitig stattfinden – wie cool ist es bitte, dass wir in diesem Jahr in Jerusalem sein dürfen?!

Doch eins nach dem andern und alles der Reihe nach: Die „heilige Woche“ der Christen beginnt bekanntlich am Palmsonntag. Dieser fiel dieses Jahr auf den 10. April und damit auf Nathis Geburtstag – so hatten wir gleich zwei Feste zu feiern. An Palmsonntag erinnert man sich an den Einzug Jesu in die Stadt Jerusalem. Vor rund 2000 Jahren wurde er dabei mit Palmwedeln und vielen „Hosianna“-Rufen begrüßt. In der heutigen Zeit wird dieser Tag in Jerusalem ebenfalls mit einem großen Umzug mit unglaublich vielen Teilnehmern, die alle ihre Palmzweige schwenken und Freudenslieder singen, begangen. Der Umzug beginnt am Ölberg und endet am Teich Bethesda in der Altstadt. Am diesjährigen Palmsonntag war es ziemlich heiß und da ich immer noch am Ramadan teilnahm, entschieden wir uns dazu, nicht selbst mitzulaufen, sondern uns nur ans Lions-Gate zu setzen, um die ankommenden Pilger zu empfangen und so den letzten Abschnitt der Strecke mitzuerleben. Bevor allerdings besagter Umzug ankam, durften wir noch einen weiteren Osterbrauch in Jerusalem bestaunen: Jedes Jahr marschieren die verschiedenen christlich-palästinensischen Pfadfindergruppen von Jerusalem im Gleichschritt, mit Trommeln und Dudelsäcken in die Altstadt ein. Das ist wirklich ein Spektakel und wir kamen gar nicht mehr aus dem Staunen heraus, als eine Pfadfindergruppe nach der anderen in ihrer Tracht anmarschiert kam und anfing, ihre musikalische Performance zum Besten zu geben. Vor allem die kleinen Jungs und Mädchen, die vielleicht sieben oder acht Jahre alt waren und in ihren Pfadfinderoutfits sehr süß aussahen, haben uns mit ihren Gleichschritts- und Trommel-Künsten beeindruckt. Da schlugen mein (Andreas) und Nathis Pfadfinderherz – wir waren jeweils beide jahrelang Mitglieder der „Royal Rangers“-Pfadfinder gewesen – gleich ein paar Takte höher. In der Galerie finden sich zu dem ganzen Ereignis ein paar Videos – das muss man nämlich wirklich selbst gesehen und erlebt haben, um unsere Begeisterung nachempfinden zu können.


Und dann kam auch schon der eigentliche Umzug: sehr fertige und verschwitzte Menschen, die so aussahen, als würden sie alle gleich kollabieren, schleppten sich die letzte Anhöhe vor der Altstadtmauer hinauf. Dabei liefen sie in Gruppen unterschiedlicher Konfessionen bzw. Nationalitäten. Trotz dessen, dass alle aufgrund der Hitze und des langen Weges, der schon hinter ihnen lag, am Ende ihrer Kräfte waren, wedelte jede Gruppe tapfer ihre Palmzweige, sang Lieder und feierte die Ankunft des Messias. Ein paar Gruppen, und dabei besonders die afrikanischen, tanzten sogar noch ausgelassen und schwenkten ihre Palmwedel mit einer Energie, die manche Menschen wahrscheinlich nicht mal unter weniger anstrengenden Umständen gehabt hätten.


Auch hier kamen wir nicht aus dem Staunen heraus und feierten begeistert mit. Immer mal wieder sah man ein bekanntes Gesicht in der Menschenmenge und so kamen wir irgendwann auch gar nicht mehr aus dem Winken und Namen-Rufen heraus. Schließlich liefen wir den letzten Rest der Strecke noch mit und beendeten unseren Palmsonntag abends mit einer kleinen Geburtstagsfeier für Nathi.

Vier Tage später stand auch schon Gründonnerstag an. Dieser und die folgenden Osterfeiertage würde/n für uns sehr arbeitsreich werden; ich finde allerdings, dass sich der Arbeitsstress tatsächlich in Grenzen gehalten hatte und wir so die Osterzeit trotzdem genießen konnten. Gründonnerstag fingen wir erst nachmittags an zu arbeiten und halfen bei der Organisation des Gründonnerstags-Gottesdienstes. Dieser fand in vier Sprachen – Deutsch, Englisch, Dänisch und Arabisch – statt und ging über in eine Prozession zum Ölberg, um dort dem vor seiner Kreuzigung betenden Jesus zu gedenken. Nachdem wir alles, was während des Gottesdienstes zu tun war, erledigt hatten, nahmen wir ebenfalls an dem Umzug teil und sangen dabei viele Osterlieder in den unterschiedlichen Sprachen. Am Ölberg angekommen, bekamen wir alle eine Kerze, die wir bei untergehender Sonne entzündeten und danach der – ebenfalls viersprachigen – Andacht lauschten.

Die russisch-orthodoxe Kirche am Fuße des Ölbergs im Abendlicht

Trotz dessen, dass ich während der Andacht in Gedanken wohl eher bei meinem ersten Schluck Wasser war, der nicht mehr so weit entfernt lag, war auch diese Feierlichkeit ein wirklich tolles Erlebnis und ich bin sehr dankbar dafür, dabei gewesen zu sein. Kurz nachdem die Andacht zu Ende war, war die Sonne auch schon untergegangen und ich konnte mein Fasten brechen. Dafür ging ich zusammen mit Luciana, die ebenfalls an der Prozession teilgenommen hatte, in einem Restaurant in der Nähe der Via Dolorosa Shawarma essen. Dabei erlebten wir hautnah die leider etwas weniger erfreulichen Begleiterscheinungen des Ramadans in Kombination mit Pessach und Ostern: Da das Restaurant genau dort liegt, wo Via Dolorosa und die Straße zum Tempelberg aufeinandertreffen, wurden an dieser Ecke in der Vergangenheit bereits viele Anschläge bzw. Messerangriffe durchgeführt. Dementsprechend ist die Militärpräsenz dort ziemlich hoch und wir erlebten an dieser Stelle einen Zusammenstoß zwischen israelischem Militär und palästinensischen Muslimen, die sehr laut „Allahu Akbar“-rufend die Straße hinunterliefen. Glücklicherweise hatte sich die Eskalation nach wenigen Sekunden wieder gelegt und es ist auch niemand zu Schaden gekommen bzw. es wurde, so wie ich das mitbekommen habe, niemand festgenommen. Für uns war das Ganze nicht wirklich gefährlich, da wir uns im Restaurant befanden und auch sofort von ein paar palästinensischen Frauen weiter vom Eingang weggeschoben wurden. Tja, little did I know dass das nicht die letzte Situation dieser Art gewesen sein würde, die ich in diesen Tagen erleben würde. Schließlich setzten Luciana und ich uns mit unserem Shawarma raus auf die Straße und unterhielten uns noch eine Weile. So endete der zweite Osterfeiertag etwas anders als erwartet und ich war gespannt, was uns an Karfreitag erwarten würde.

Dieser startete leider nicht viel erfreulicher als der Donnerstag geendet hatte – ich wachte gegen fünf Uhr morgens von dem Lärm der Blendgranaten des IDF auf dem Tempelberg auf. Zunächst konnte ich die Knalle, die ich von meinem Zimmer aus hörte, nicht einordnen – als ich dann allerdings auf einer palästinensischen Instagramseite den Livestream dessen, was gerade auf dem Tempelberg passierte, sah, war mir eigentlich direkt klar, was die Lage war. Das IDF hatte das Al-Aqsa-Gelände gestürmt und dabei zahlreiche Muslime, welche gerade zum Morgengebet dort versammelt waren, verletzt und verhaftet – darunter auch viele Frauen, Jugendliche und Journalisten. Der Grund für diese Aktion ist mir bis heute nicht bekannt. Aufgrund dieser Vorkommnisse war bis kurz vor Beginn unserer geplanten Prozession auf der Via Dolorosa um 6.30 Uhr nicht ganz klar, ob diese überhaupt stattfinden würde. Schließlich wurde sie doch nicht abgesagt und wir begaben uns um 6.30 Uhr zum Lions-Gate – nur wenige Meter entfernt von dem Ort, an dem etwas mehr als eine Stunde zuvor zahlreiche Menschen unnötigerweise zu Schaden gekommen waren. Dementsprechend fiel es mir schwer, mich während des gesamten Kreuzweges, während welchem wir nicht nur Lieder sangen, sondern auch dem gerade passenden Teil der Ostergeschichte zuhörten, mich auf das Wesentliche von Karfreitag zu konzentrieren. Meine Gedanken waren auf dem Tempelberg und bei den Opfern der Ungerechtigkeit und des Unfriedens in diesem Land. Gegen 7.30 Uhr waren wir an der Erlöserkirche angekommen, in welcher noch eine Abschlussandacht stattfand.

Das Ende der Karfreitagsprozession

An dieser nahm ich allerdings nicht mehr teil, da ich, aufgrund des den morgendlichen Vorkommnissen geschuldeten Schlafmangels todmüde war und ohne Umwege wieder zurück ins Bett ging. Gegen 10 Uhr räumte ich das Refektorium auf, in dem nach der Andacht das Klerikerfrühstück stattgefunden hatte und verbrachte anschließend den restlichen Tag wieder im Bett. Abends feierten wir im JoHo dann noch Sophies Geburtstag – schon ein bisschen blöd, wenn der eigene Geburtstag auf den Karfreitag fällt. Aber Sophie und wir machten das Beste aus der Situation und verbrachten einen schönen Abend.

Der Karsamstag war ein normaler Arbeitstag ohne besondere Gottesdienste oder Vorkommnisse. Lediglich abends durfte ich zusammen mit Katinka, einer Sondervikarin der Erlöserkirche, eine Reisegruppe aus Deutschland im Kreuzgang unserer Kirche empfangen und ihre Fragen zur Erlöserkirche und zum Leben in Jerusalem beantworten. Das hat echt Spaß gemacht und außerdem konnte ich die Extra-Arbeitszeit als Überstunden zählen lassen ;).

Schließlich war der große Tag gekommen: Ostersonntag! – der höchste Feiertag der Christen (auch wenn ich im Laufe des Tages mit einem meiner Freunde darüber diskutierte, ob jetzt Weihnachten oder Ostern das wichtigere Fest ist). Dieser Tag startete, nachdem ich meine drei Wecker alle verschlafen hatte, etwas hektisch. Da um 5.30 Uhr der Ostergottesdienst in der Himmelfahrtkirche oben auf dem Ölberg stattfinden sollte und so früh noch keine Busse bzw. Taxis fahren, mussten wir den Berg hochlaufen. Also wurde ich um 4.45 Uhr – 5 Minuten bevor wir am JoHo sein wollten – von Nathi geweckt. Im Turbogang sprang ich also aus dem Bett, zog mich an und machte mich fertig. So waren Lea, die netterweise auf mich gewartet hatte und ich nach einem anschließenden Sprint durch die Altstadt zwar völlig außer Atem, aber tatsächlich noch pünktlich am JoHo. Von dort ging es dann gemeinsam mit den anderen JoHo-Volos und einigen Gästen des Hospizes im Dunkeln rauf auf den Ölberg. Normalerweise laufen wir den Berg im Dunkeln nur runter – so war es auch mal ganz cool, das Ganze in die andere Richtung zu erleben. Oben angekommen bekamen wir alle eine (noch nicht angezündete) Kerze und setzten uns damit in die dunkle Kirche. Nach einer kurzen Ansprache vom Propst gingen alle nach draußen, zündeten ihre Kerzen an und bewegten sich dann zum Garten des „Deutschen Evangelischen Institutes für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes“ (kurz: DEI). Dort wurde bei Sonnenaufgang der Ostergottesdienst abgehalten – inklusive einer Taufe. Ein wirklich sehr cooles Erlebnis und ich würde fast behaupten, dass ich noch nie einen schöneren Ostersonntag erlebt habe. Wie auch, wenn man sich gerade genau in der Stadt befindet, in welcher sich die Ostergeschichte vor zweitausend Jahren abgespielt hat!

Ostergottesdienst bei Sonnenaufgang


Nach diesem gelungenen Auftakt des Auferstehungstages liefen wir den Ölberg wieder hinunter (mittlerweile fuhren die Busse, doch ich hatte meine Rav-Kav zuhause gelassen). Unten angekommen trafen wir auf die anderen Volos, die den Bus genommen hatten und gingen dann gemeinsam zur Erlöserkirche. Am Damascus-Gate gerieten wir in eine Situation, welche die Erlebnisse vom Freitagabend in puncto Schockmoment tatsächlich nochmal übertraf. Nichtsahnend lief unsere Volo-Gruppe von ca. 5-6 Leuten die Stadtmauer entlang Richtung Damascus-Gate als wir plötzlich von rechts kommende, laute Schreie vernahmen. Dann ging alles ganz schnell: Links neben uns waren drei palästinensische junge Männer in aller Normalität die Straße entlanggelaufen, als zwei israelische Soldaten aus einem Auto rechts neben uns sprangen, mit ihren Gewehren (wohl unabsichtlich, da wir einfach gerade etwas im Weg standen) genau auf uns zielten und irgendetwas auf Hebräisch brüllten. Dann waren sie auch schon an uns vorbei bzw. mitten durch uns hindurch und im nächsten Moment lag einer der drei Palästinenser schon mit den Händen auf dem Rücken fixiert am Boden. Der Arme wusste gar nicht wie ihm geschah und hatte auch nicht die Möglichkeit, sich zu wehren, da er genauso perplex war wie wir. Auch seine Begleiter waren völlig überrascht, sodass keinerlei Widerstand geleistet wurde. Wenige Sekunden später war alles auch schon wieder vorbei und der junge Mann wurde abgeführt. Zurück blieben seine überrumpelten Freunde und eine Gruppe schockierter deutscher Volontäre, deren Puls direkt mal um einiges höher ging. Wie man sich denken kann, war dieser Vorfall unter uns Volontären erstmal Gesprächsthema Nummer eins während dem anschließend in der Erlöserkirche stattfindenden Osterfrühstück. Dieses war herrlich: Es gab Brot, Eier, Frischkäse, Marmelade und sogar Käse! Eine Rarität in Volontärshaushalten, da Käse in diesem Land leider schlicht unerschwinglich ist. Anschließend räumten wir auf und ich setzte mich für den 10.30 Uhr-Gottesdienst an die Kirchenrezeption, um ungebetene Touristen an der Kirchentüre zu verscheuchen. Nach diesem Gottesdienst passierte nicht mehr viel und ich ging abends noch in Gottesdienst Nummer drei des Tages in die Christchurch.

Am Ostermontag stand eine Wanderung nach Emmaus an. Da der Bibeltext, der von zwei Jüngern auf ihrer Wanderung von Jerusalem nach Emmaus und deren Begegnung mit dem auferstandenen Jesus erzählt, keine eindeutige Festlegung des Ortes Emmaus zulässt, gibt es drei mögliche Orte, die dafür in Frage kommen. Einer davon ist das heutige Dorf „Al-Qubeibe“ in der West Bank, welches 17km von Jerusalem entfernt liegt und unser Ausflugsziel war. Die Wanderung wurde von Mönchen des Franziskaner-Ordens organisiert und so trafen wir uns in einer großen Wandergruppe mit den anderen Teilnehmenden um 9.30 Uhr am Jaffa-Gate. Dieser Tag sollte der heißeste des bisherigen Jahres werden und so war die eigentlich echt angenehme Strecke eine wahre Tortur. Trotzdem machten wir natürlich das Beste aus der Situation und rückblickend war es auch gar nicht so schlimm gewesen: Zunächst ging es die Jaffa-Street hoch und nach Lifta. Anschließend liefen wir eine Weile auf einem Wanderweg, machten Mittagspause in einem Olivenhain und liefen danach querfeldein, kletterten eine kleine Anhöhe nach oben (was bei der Hitze wirklich sehr anstrengend war) und kamen schließlich in das palästinensische Dorf Al-Qubeibe.

Auf der Wanderung nach Emmaus/ Al-Qubeibe

Irgendwo auf der Hälfte des Weges hatte sich in unserer Gruppe der Witz etabliert, dass es wohl kein so ein gutes Zeichen wäre, wenn man jetzt Jesus sehen würde. Ich war auf dieser Wanderung auf jeden Fall sehr dankbar für meine Wanderschuhe, dafür, dass ich mich drei Tage zuvor entschieden hatte, zu Ostern mein Ramadanfasten zu beenden und für die gute Gesellschaft, mit der auch die anstrengendste Wanderung ein Spaß sein kann. In Al-Qubeibe angekommen wurden wir von winkenden, rufenden und mit ihren Autos hupenden Palästinensern empfangen, die sich augenscheinlich sehr über unsere Anwesenheit freuten. Im Dorf fanden wir auch einen Laden, wo wir unsere Wasservorräte wieder aufstocken konnten. Diese hatten sich im Laufe der letzten Kilometer bedrohlich dem Ende geneigt. Schließlich hatten wir auch schon unser Ziel, das katholische Altenpflegeheim „Beit Emmaus“, erreicht. Dort wurden wir herzlich von den dort arbeitenden Nonnen begrüßt, die für uns Hummus, Pita, Oliven, Gebäck und Getränke bereitgestellt hatten. So genossen wir unsere wohlverdiente Stärkung, bevor zum Abschluss noch eine katholische Messe gefeiert wurde. Das dauernde Aufstehen und wieder Hinsetzen erfreuten uns müde Wanderer eher weniger, doch schließlich war auch das geschafft und es ging mit von den Mönchen organisierten Reisebussen zurück nach Jerusalem. Die Abfahrt hatte sich ein bisschen nach hinten verzögert, da eine der älteren Damen, die mitgewandert waren, zuvor auf der Treppe gestürzt war und sich den Arm gebrochen hatte. Sobald wir über den Checkpoint waren, wurde sie von einem Krankenwagen entgegengenommen und wurde direkt medizinisch versorgt.

Das wars dann tatsächlich erstmal mit Ostern, zumindest mit dem herkömmlichen so wie wir es in Deutschland feiern. Knapp eine Woche später folgte in der Altstadt Jerusalems nämlich noch das orthodoxe Ostern, welches ebenfalls ein wahnsinnig spannendes Ereignis war. Als Vorbereitung für die orthodoxen Feierlichkeiten, die vor allem eine große Zeremonie in der Grabeskirche inklusive Osterfeuerleuchten und anschließendem Tragen des Feuers durch die Altstadt beinhalten, wurde die Altstadt am orthodoxen Karsamstag, also am 23.04. von der Polizei komplett abgeriegelt, sodass an diesem Tag niemand die Altstadt verlassen bzw. betreten konnte. Auch innerhalb der Altstadt war der Weg zur Grabeskirche abgesperrt, und da dieser direkt an unserer Muristanstraße vorbeiläuft, waren auch wir davon betroffen und konnten so unsere Straße nicht mehr verlassen. Außerdem wurden für alle christlichen Pilger und Touristen, die es nicht in die Grabeskirche geschafft hatten, direkt vor unserer Kirche zwei Bildschirme aufgebaut, auf welcher das Spektakel des Osterfeuerleuchtens live übertragen wurde. Als ich am Morgen des 23.04. vor die Tür trat, war ich, trotz dessen, dass wir natürlich vorgewarnt worden waren, erstmal sehr überrascht darüber, wie nah an unserer Türe die Absperrungen tatsächlich waren.


Die Bilder vermitteln die Lage ganz gut: Wir konnten uns wirklich nur einige Meter vor unserer Türe auf- und abbewegen, bevor wir auf ein riesiges Polizeiaufgebot und auf die Straßenabsperrungen stießen. Die anderen Volos, die den Abend zuvor zu uns in die Erlöserkirche gekommen waren und dort übernachtet hatten, um für das orthodoxe Ostern in der Altstadt sein zu können, nannten diese Konstruktion belustigt „den Laufstall“. Unser Vormittag bestand also, nachdem wir ausgeschlafen hatten, darin, uns auf den Muristan vor die Kirche zu setzen und uns ein bisschen besonders zu fühlen, da wir uns ja in genau dem Abschnitt der Straße befanden, in den die anderen Pilger nicht reindurften. Raus aus unserem „Laufstall“ hätten wir immer gekonnt – nur wieder reinzukommen war die Schwierigkeit. Das erlebten die Volos, die zum Brotkaufen kurz die Absperrung verlassen hatten, am eigenen Leib: Trotz dessen, dass sie den Polizisten vor Verlassen der abgesperrten Straße die Lage erklärt und ihnen gezeigt hatten, dass sie im Muristan wohnen, wurden sie bei ihrer Rückkehr erstmal sehr vehement angeschnauzt und zurückgewiesen. Nachdem sie es den Polizisten aber nochmals erklärt hatten, wurden sie dann doch durchgelassen. Das frische Brot aßen wir dann zusammen mit frischgekochtem Shakshuka bei schönstem Sonnenschein im Kreuzgang, während wir gespannt den Livestream auf meinem Laptop verfolgten. Sobald das Osterlicht nämlich aus dem Inneren der Grabeskirche kommen würde, wollten wir so schnell wie möglich in die Bibliothek laufen, um dort den besten Blick auf das sich ausbreitende Feuer zu haben. In der Bibliothek waren wir zuvor schon kurz gewesen, da man von dort aus gut den Muristan überblicken und auch bis zur Grabeskirche sehen kann. Schließlich sah es gegen 13 Uhr, kurz nachdem wir unser Shakshuka-„Frühstück“ beendet hatten, ganz danach aus als würde es losgehen – so ließen wir alles stehen und liegen und rannten hoch in die Bibliothek. Leider hatte es sich als falscher Alarm herausgestellt und man sah noch nichts von dem Osterfeuer. Nach langem Warten, einigen weiteren falschen Alarmen und gespanntem „Am-Fenster-Stehen“ war es dann gegen 14 Uhr endlich so weit: Das Feuer kam! Sofort klebten alle Volos an den geöffneten Fenstern der Bibliothek und wir jubelten lautstark, als das Osterfeuer unsere Straße erreichte und von dort in die ganze Altstadt weitergegeben wurde. Was ein Erlebnis – an diesem Tag fragte ich mich, warum wir unser Ostern nicht eigentlich auch so feiern.


gespanntes Warten auf das Osterfeuer

Da ist es!

Während des Livestreams war die Stimmung in der Grabeskirche wirklich wie im Fußballstadion gewesen: Leute kletterten auf die Schultern von Anderen um besser sehen zu können, schwenkten irgendwelche Flaggen und sangen laut Lieder. Trotz dessen, dass die Grabeskirche wirklich wahnsinnig vollgestopft war, wäre ich schon gerne mitten in der Menge gewesen, um mitzufeiern. Aber ich glaube, wir haben das Beste aus unserer Situation gemacht und haben das orthodoxe Ostern auf jeden Fall so nah wie uns nur möglich miterlebt. Nachdem das Osterfeuer aus der Grabeskirche gekommen war, gingen wir noch auf unseren Kirchturm und blickten von dort auf die Grabeskirche. Viel war allerdings nicht mehr zu sehen, sodass Anna-Lea, die auch bei uns übernachtet hatte, und ich uns dazu entschieden noch nach Ramallah zu fahren, um dort die Osterfeierlichkeiten weiterzuverfolgen. Leider war schon alles vorbei, als wir dort ankamen, doch wir hatten trotzdem einen sehr schönen Tag zusammen in Ramallah. Lea hatte das orthodoxe Ostern etwas anders erlebt, da sie die Nacht im Johanniterhospiz verbracht hatte. So hatte sie gemeinsam mit den anderen Leuten im JoHo ebenfalls den Livestream verfolgt und war, sobald das Osterfeuer draußen und damit die Absperrung aufgehoben war, auf die Straßen des christlichen Viertels gegangen und war so mittendrin, als das Osterfeuer weitergegeben wurde. Dabei sahen sie auch noch die vielen Pfadfinderparaden, die wir ja schon an unserem Ostern bestaunt hatten – wir hatten diese diesmal leider verpasst.


Alles in allem bin ich mal wieder unglaublich dankbar dafür, diesen Tag in Jerusalem, und dabei sogar nur wenige Meter von der Grabeskirche entfernt, erlebt haben zu dürfen!




Inmitten all dieser Osteraufregung war das Pessachfest bei uns ein wenig untergegangen.


Leider haben wir deshalb nicht so viel davon mitbekommen – zusätzlich zum üblichen Bewundern der Beleuchtung bzw. Festtagsdekoration in der Stadt hätte ich am Abend des Ostersamstags noch die Möglichkeit gehabt, an der Sederfeier der Jerusalem Assembly teilzunehmen, aber zu dem Zeitpunkt musste ich ja leider arbeiten. „Seder“ wird eigentlich am ersten Abend von Pessach, welcher immer ein Freitagabend also ein „Erev Shabbat“ ist, gefeiert. Dabei wird mittels zahlreicher Rituale dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten gedacht. Laut Aarons Erzählungen, welcher zusammen mit Luciana zu solch einem Sederabend eingeladen worden war, ist auch hier viel Alkohol im Spiel und am Ende der Feierlichkeiten sind alle betrunken. Abgesehen von diesen Vorkommnissen werden den Kindern während des Verzehrs verschiedener Speisen in einer festgelegten Reihenfolge bestimmte Fragen gestellt, anhand derer sie nachvollziehen sollen, wie der Auszug aus Ägypten damals abgelaufen war. Während Pessach werden nur ungesäuerte Lebensmittel gegessen; besonders oft sieht man dabei eine Art Knäckebrot namens „Mazze“, welches sehr dünn ist und nach nichts schmeckt. Im Zuge dessen, dass sich laut der jüdischen Überlieferung während Pessach kein einziger Krümel ungesäuerter Lebensmittel im Haus befinden soll, kann man zu Beginn von Pessach in Jerusalem ein weiteres Spektakel beobachten: In den ultraorthodoxen Vierteln, darunter auch in Me’a Sh’earim, werden alle Lebensmittel, die als gesäuert gelten, restlos verbrannt. Dafür werden in den Straßen der Viertel riesige Tonnen aufgestellt, in denen Feuer gemacht werden. Anschließend wird darin alles, was gesäuert und bei drei nicht auf dem Baum ist, verbrannt. Lea und ich haben das leider nicht mitbekommen, da das Ganze Freitagvormittag stattfand und wir zu dem Zeitpunkt mit Ostern beschäftigt waren. Dafür waren unsere JoHo-Freunde live mit dabei und sie erzählten uns danach davon, sodass wir so doch noch ein wenig diesem spannenden Ereignis mitbekamen. Mittwoch, den 20.04.2022 fand außerdem die Priestersegnung an der Klagemauer statt, welche ich allerdings ebenfalls verpasste, da ich an diesem Tag frei gehabt hatte und nach Akko gefahren war. Lea und Nathi waren allerdings da gewesen und auch Aaron hatte das gesamte Prozedere beobachtet und sogar gefilmt, sodass ich anschließend von ihm ein ca. 3-minütiges Video geschickt bekam. Abgesehen von all diesen unproblematischen Ritualen, bekamen wir in der Pessachwoche auch noch eher weniger erfreuliche Ereignisse mit: So hatte beispielsweise ein radikaler Rabbi die ultraorthodoxe Community, so wie jedes Jahr, wieder dazu aufgerufen, den Versuch zu starten, auf dem Tempelberg ein Schaf oder eine Ziege zu schlachten. Man kann sich vorstellen, wie schlimm die darauf folgenden Zusammenstöße mit der muslimischen Community aussehen würden. Dementsprechend wird jedem der es schafft, ein hohes Preisgeld geboten: Schafft man es, das Schaf bzw. die Ziege auf dem Tempelberg-Areal zu schlachten, bekommt man 500 Schekel und wenn man sogar noch weiter vordringt, wären es 1000 Schekel Preisgeld. Ein wirklich sehr krankes Ritual… In den Tagen von Pessach haben wir dann tatsächlich von einem Fall mitbekommen, wo jemand sein Glück versucht hat – allerdings wurde die Person rechtzeitig von der Polizei festgenommen, sodass sie wohl leider keinen einzigen Schekel für ihre Bemühungen bekommen hat. Ansonsten fand am Mittwoch, den 20.04. noch der „March of Flags“ – der Flaggenmarsch – statt. Dabei läuft eine große Ansammlung rechtsradikaler Siedler mit ihren Israel-Flaggen durch die Stadt und beansprucht mit dieser Geste die Stadt bzw. das Land für sich. Bei dem Versuch, auch in die Altstadt vorzudringen, wurden sie von der israelischen Polizei gestoppt, um die momentan ohnehin schon angespannte Stimmung nicht noch weiter aufzuheizen. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Einigen der Siedler, die deren Anweisungen nicht gehorchen wollten.

Wie man sieht, hatte diese Zeit der vielen religiösen Feste - so wie vieles in diesem Land hier - zwei verschiedene Gesichter; trotz der aufgeheizten Stimmung habe ich mich aber zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt und schätze es sogar sehr wert, auch die eher unschöne Seite dieses Landes nochmal intensiver kennenlernen zu dürfen.

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