Ramadan
- jerusalemgang
- 5. Mai 2022
- 9 Min. Lesezeit

In diesem Jahr wurde der heilige Fastenmonat der Muslime relativ früh, nämlich von Anfang April bis Anfang Mai, abgehalten. Wie bereits in einem unserer anderen Blogbeiträge erwähnt (siehe hier), habe ich (Andrea) eine Zeit lang mitgefastet und berichte jetzt hier von meinen Erfahrungen.
Da die Muslime genauso wie die Juden ihre Feiertage vom Mondkalender abhängig machen, verschiebt sich der Ramadan jährlich mit dem Mondzyklus. Außerdem ist zu Beginn und Ende immer nicht ganz klar, zu welchen Daten genau der exakte Start bzw. das Ende ist, sodass die wichtigsten Imame der islamischen Welt in dieser Zeit fleißig den Mond beobachten und sich dann gemeinsam auf ein Anfangsdatum einigen. Dieses Jahr war das der 02. April, sodass es glücklicherweise noch nicht allzu heiß bei uns war. Für meine Teilnahme am Ramadanfasten gab es mehrere Gründe: Zum einen wollte ich bereits in den letzten Jahren des Öfteren an Ramadan teilnehmen – allerdings fand ich in Deutschland aufgrund der fehlenden Mitfastenden schlichtweg nicht die Motivation dafür, es wirklich durchzuziehen. Außerdem überschnitt sich dieses Jahr für die ersten zehn Ramadantage der Ramadan noch mit der christlichen Fastenzeit, sodass ich dies als weiteren Grund sah, mitzufasten. Zu guter Letzt wollte ich einfach sehr gerne die Stimmung und den „Vibe“, der Jerusalem in dieser Zeit sehr stark prägte, miterleben und auch nachvollziehen können, wie es sich anfühlt, den ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken.
Die Muslime fasten immer solange die Sonne am Himmel ist, d.h. sie beginnen und enden ihr Fasten mit Sonnenauf- bzw. -untergang. Diese Zeiten sind im Nahen Osten im April noch relativ human, sodass man eigentlich einen ziemlich kurzen Fastenzeitraum (ca. 14h) hat. So startete ich in der Nacht vom 01. auf den 02. April gegen halb fünf morgens voll motiviert in den Ramadan, indem ich mir für diese Zeit bzw. eine halbe Stunde früher einen Wecker stellte um noch ein letztes Mal zu essen und zu trinken. Diese letzte Mahlzeit vor Fastenbeginn nennt sich „Suhoor“ und ist gleichzeitig verbunden mit dem ersten der fünf (bzw. im Ramadan sechs) muslimischen Gebete am Tag. Ich hatte mir am Abend zuvor extra ein Müsli vorbereitet und ans Bett gestellt, sodass ich für Suhoor nicht einmal mein Bett verlassen musste. Außerdem hatte ich mir noch eine Ramadan-App heruntergeladen, die mir die jeweiligen Zeiten (sowohl Fastenbeginn bzw. -ende als auch die Gebetszeiten) anzeigte. Dies hätte ich theoretisch gar nicht gebraucht, da in Jerusalem die Fastenzeit jeweils mit einem Kanonenschuss, der sehr laut ist und in der gesamten Jerusalemer Altstadt nicht zu überhören ist, begonnen und beendet wird. Nach meinem letzten Schluck Wasser klingelte auch schon der Wecker, den ich mir auf meinem Handy für den Fastenbeginn gestellt hatte und ich legte mich wieder schlafen. Als ich dann morgens zu meiner normalen Aufstehzeit erwachte, musste ich mich erstmal davon abhalten, nicht aus Gewohnheit zu meiner Wasserflasche zu greifen und einen großen Schluck zu trinken. So ging es mir während des gesamten ersten Tages und teilweise war ich wirklich kurz davor zu trinken – nicht primär wegen des Durstgefühls, sondern vor allem aus Macht der Gewohnheit. Während der gesamten Zeit in der ich fastete, stellte das Nicht-Essen tatsächlich absolut gar kein Problem dar, was wahrscheinlich daran lag, dass ich bzw. mein Körper viel mehr mit dem nach einigen Stunden sehr extremen Durstgefühl zu kämpfen hatte und so gar keine Kapazität mehr vorhanden war, um auch noch Hunger zu verspüren. Verständlich, wenn man mal bedenkt, dass der Körper während der ca. 14-stündigen Periode ohne Flüssigkeitszufuhr schon anfängt, zu dehydrieren und auch entsprechende Anzeichen zeigt. Trotzdem verging der erste Tag eigentlich relativ schnell und schon war es 19.00 Uhr – Zeit für „Iftar“, das Fastenbrechen. Ich sag’s euch, der erste Schluck Wasser hat sich besser angefühlt als Weihnachten, Geburtstag, Ostern und Silvester zusammen. Auch die Dattel, mit der man traditionell das Fasten bricht, war ein Genuss. Danach war mein Magen, der den Tag über ziemlich klein wird, wenn man die ganze Zeit nichts zu sich nimmt, erstmal ziemlich voll und ich aß erst einige Zeit später eine richtige Mahlzeit. Der zweite Ramadantag begann genauso wie der erste und ich feierte Suhoor nachts alleine in meinem Bett (irgendwie klingt das richtig traurig). Da es Sonntag war und Lea und ich frei hatten, entschlossen wir uns dazu, nach Lifta zu fahren (hier kann man mehr dazu lesen). So eine gute Idee war das nicht gewesen, da es an dem Tag ziemlich heiß war und wir natürlich auch viel herumliefen. Dementsprechend beschloss ich, ein wenig zu trinken, da es anders wirklich nicht gegangen wäre. Ich hielt die Wasseraufnahme trotzdem so gering wie nur möglich und habe insgesamt an diesem Tag „nur“ einen halben Liter getrunken. Dabei muss man aber auch beachten, dass Reisende laut dem Koran vom Fasten sowieso ausgenommen sind, d.h. ich hätte an diesem Tag gar nicht fasten müssen. Abends, also so ca. zwei Stunden vor dem Fastenbrechen, hatte ich dann auch ordentlich Kopfweh und merkte, trotz dessen, dass ich nach unserem Ausflug eine Weile geschlafen hatte und auch sonst den Rest des Tages mein Bett nicht mehr verlassen hatte, die abbekommene Sonne schon sehr. So hatte ich, streng genommen, den zweiten Tag von Ramadan nicht wirklich gefastet. Nach einigen Tagen hatte ich mich tatsächlich an den neuen Tagesrhythmus mit dem frühen Aufstehen um zu Essen und Trinken, gewöhnt und hatte auch ein paar Tricks gefunden, die das Fasten ein wenig erleichterten. So hatte ich in den ersten Tagen nach Sonnenuntergang viel zu wenig getrunken (immer noch drei Liter, was allerdings, wenn man bedenkt, dass man tagsüber ziemlich stark dehydriert und sich dementsprechend abends wieder rehydrieren muss, viel zu wenig ist) und begann nach einigen Tagen nach Sonnenuntergang bis zu sechs Liter zu trinken. Eine komplette 1,5 Liter-Flasche innerhalb von 10 Minuten auszutrinken war für mich direkt nach dem Fastenbrechen kein Problem und das Trinken-Fasten fiel mir seit dieser Umstellung wirklich um einiges leichter. Unsere Vikarin Svenja, die ich mit meinem Fasten dazu motiviert hatte, ebenfalls den Ramadan mitzumachen, hatte von vornherein gar nicht so viele Probleme mit dem Trinken bzw. Nicht-Trinken, da sie auch außerhalb von Ramadan eher wenig trinkt und ihr Körper so an relativ geringe Wassermengen gewöhnt ist, sodass ihr das Essenfasten schwerer fiel. Da ich normalerweise mindestens drei Liter pro Tag trinke, war mein Körper sehr irritiert von der radikalen Umstellung, doch nach ein paar Tagen hatte er sich daran gewöhnt, sodass ich sogar nach meinem geplanten Fastenende zum Ende der christlichen Fastenzeit (10. April) noch weitermachte, um genau 14 Tage gefastet zu haben. Allerdings hatte ich gemerkt, dass ich nach einiger Zeit mein Alltagsleben leider doch sehr eingeschränkt und meine Aktivitäten auf ein Minimum reduziert hatte, da der Körper ohne Wasser wirklich irgendwann, und vor allem je länger man am Stück fastet, zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Aus diesem Grund war es für mich definitiv die richtige Entscheidung, mein Ramadanfasten nach 14 Tagen und zum Karfreitag zu beenden. So konnte ich auch die Osterfeiertage, inklusive Osterfrühstück am Ostersonntag gut genießen – immerhin bin ich ja immer noch Christin und keine Muslima ;). Alles in allem habe ich einiges in dieser Zeit, sowohl über mich selbst als auch über die muslimische Kultur, gelernt: Ich bin nicht nur überrascht von meinem Durchhaltevermögen bzw. von den Fähigkeiten meines Körpers, sondern habe jetzt auch sehr großen Respekt vor all den muslimischen Menschen auf der ganzen Welt, die jedes Jahr wieder aufs Neue einen kompletten Monat lang auf Essen und Trinken verzichten – und das ja auch des Öfteren unter viel schwierigen Umständen als es dieses Jahr der Fall war. Des Weiteren habe ich in dieser Zeit unglaublich zu schätzen gelernt, genug Essen und Trinken zur Verfügung zu haben bzw. überhaupt wann immer und so viel Wasser wie ich möchte trinken zu können. Auch das Leben in Jerusalem habe ich irgendwie anders erlebt, als es wahrscheinlich ohne Fasten der Fall gewesen wäre: Tagsüber durch das muslimische Viertel Jerusalems zu laufen und dabei zu wissen, dass höchstwahrscheinlich jeder Mensch, dem man begegnet, gerade das Gleiche durchmacht wie man selbst, war schon ein cooler Gedanke. Außerdem musste ich nicht darauf achten, gerade nichts zu essen oder zu trinken, da man das während Ramadan aus Respekt vor den fastenden Muslimen in deren Gegenwart möglichst vermeiden sollte. Leider wurde ich während meiner Fastenphase von niemandem zum Iftar eingeladen, was eigentlich auch einer der Gründe gewesen war, warum ich überhaupt an Ramadan teilgenommen hatte. Trotzdem war Iftar immer eine ganz besondere Zeit: Nicht nur der Kanonenknall, der einem immer sehr klar und unüberhörbar den Ramadan ins Gedächtnis rief (falls man ihn verdrängt hatte), sondern auch die gesamte Altstadt waren besonders in dieser Zeit. Außerhalb von Ramadan ist das muslimische Viertel spätestens um 21.00 Uhr wie ausgestorben und man trifft fast keinen Menschen auf der Straße. Im Ramadan ging, nachdem von 19-20 Uhr die Straßen wegen Iftar, das alle zuhause mit ihren Familien verbrachten, wirklich absolut leergefegt gewesen waren (es fuhren in diesem Zeitraum auch keine arabischen Busse), um diese Uhrzeit das Leben erst so richtig los. Die Straßen waren vollgestopft mit plaudernden, lachenden und essenden bzw. trinkenden Menschen, die sich darüber freuten, gemeinsam das Fastenende feiern zu können.

Vor allem am Damascus Gate waren immer wahnsinnig viele Leute, was leider häufig in Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischer Armee resultierte. Deshalb wurde uns in dieser Zeit auch davon abgeraten, uns zu Iftar am Damascus Gate aufzuhalten – wir waren trotz dieses Ratschlages in der ersten Ramadanwoche fast jeden Abend dorthin gegangen. Dabei passten wir allerdings immer auf uns auf und wenn die Stimmung zu angespannt war, drehten wir sofort wieder um bzw. gingen gar nicht erst näher hin. In dieser Zeit wurden am Damascus Gate sehr viele Menschen vom IDF verprügelt und festgenommen. Zusätzlich zu den regelmäßigen Zusammenstößen am Tempelberg, die ich bereits im Oster-Blogbeitrag erwähnt habe, ist das leider eine weitere unangenehme, aber leider nicht ungewöhnliche Begleiterscheinung des Ramadans. Abgesehen von diesen Ausschreitungen, die tatsächlich seltener stattfanden als wir erwartet hatten, war die Stimmung am Damaskustor während Iftar immer wahnsinnig ausgelassen: Man konnte die verschiedensten Leckereien sowie viele bunte Luftballons kaufen, die Menschen rauchten zusammen Shisha, hörten laut Musik und manchmal gaben einige akrobatisch begabte Leute ihre Künste zum Besten. Auch in der Stadtlandschaft zeigte sich, dass man sich gerade mitten im Ramadan befand: Im muslimischen und armenischen Viertel der Altstadt sowie an der Stadtmauer hingen viele bunte (und teilweise auch sehr kitschige) Lichterketten, die, sobald die Sonne untergegangen war, in allen Farben leuchteten. Besonders das Damascus Gate war wirklich schön mit riesigen Lichterketten und leuchtenden Halbmonden geschmückt. Außerdem wurden manchmal, wenn man sich um die Iftarzeit herum im muslimischen Viertel befand, kostenlos Wasser und Datteln zum Fastenbrechen an alle vorbeigehenden Menschen verteilt (egal ob sie überhaupt fasteten oder nicht). Ein weiteres Erlebnis im Ramadan, in welchem wir mitten drin waren, ist „Lailat al-Qadr“, die „Nacht der Bestimmung“. Diese findet immer irgendwann in den letzten zehn Tagen des Ramadans statt (dieses Jahr in der Nacht vom 27. auf den 28. April). Die Muslime feiern in dieser Nacht das Ereignis, als Mohammed den Koran vom Himmel her empfing und sie glauben, dass deshalb in dieser Nacht (und besonders um Mitternacht) der Himmel offen steht, sodass alle in dieser Nacht gemachten Wünsche in Erfüllung gehen sowie Sünden vergeben werden. Des Weiteren glauben die Muslime, dass sich um Mitternacht der Himmel physisch öffnet und ein Licht erscheint, was – Spoilerwarnung – leider nicht passiert ist. Wir, d.h. Lea, Philipp, ich und noch einige weitere Freiwillige, waren nämlich in dieser Nacht auf dem Kirchturm der Erlöserkirche gewesen, um zum einen gut den Tempelberg beobachten zu können und um zum anderen noch näher am Himmel zu sein als die Muslime am Tempelberg. Zu Lailat al-Qadr kommen nämlich wahnsinnig viele Muslime aus ganz Israel und Palästina sowie aus den umliegenden Ländern nach Jerusalem, um in dieser Nacht auf der zweitheiligsten Stätte des Islam – dem Haram-al-Sharif bzw. dem Tempelberg – und somit näher am Himmel zu sein. So, glaubt man, ist es wahrscheinlicher, dass die eigenen Wünsche wirklich erfüllt werden. Dementsprechend war das Areal des Tempelbergs wirklich bis auf jeden kleinsten Millimeter von Menschen bedeckt und wir sahen die Menschenmassen von oben nur als einen riesigen schwarzen Fleck. Wir waren ja sogar noch näher als diese am Himmel dran und so nutzten wir die Zeit bis um 00.00 Uhr, um selbst noch einige Wünsche aufzuschreiben und diese dann, wenn es soweit war, zu verbrennen. Das ist zwar keine muslimische Tradition, aber irgendjemand aus unserer Gruppe kam auf diese Idee und so setzten wir sie in die Tat um. Das war eigentlich ein echt cooler Moment, auch wenn, wie bereits angekündigt, sich der Himmel leider nicht geöffnet hat und wir kein Licht gesehen haben. Wäre dies der Fall gewesen, so sagten wir im Spaß, hätten ein paar von uns ernsthaft überlegt, zum Islam zu konvertieren. Alles in allem hatten wir eine gute Zeit während Lailat al-Qadr, auch wenn tagsüber die Straßen in der Altstadt und vor allem beim Damascus Gate so wahnsinnig voll gewesen waren, wie wir es davor nicht einmal zum Freitagsgebet erlebt hatten. Wir hatten eigentlich versucht, nach dem Afterwork durch das Damascus Gate in die Altstadt zu gelangen, doch waren bestimmt 10 Minuten lang keinen Zentimeter vorangekommen, sodass wir den Rückzug antraten und durch das New Gate gingen.

So war Ramadan auch schon wieder fast vorbei und es stand Eid, das muslimische Fastenbrechfest (im Deutschen auch Zuckerfest genannt) an. Dazu gibt es allerdings tatsächlich fast nichts zu berichten, da das Fest wohl einfach darin besteht, drei Tage lang zuhause mit der Familie durchzufeiern und ganz viel (Süßes) zu essen, sodass wir davon fast nichts mitbekamen, außer, dass die Straßen seitdem wieder ab 21.00 Uhr wie gewohnt komplett leer sind. Ich finde es schade, dass Ramadan jetzt vorbei ist. Ich werde die vielen bunten Lichterketten, die zahlreichen Essensstände, die besonderen Leckereien, die es nur während Ramadan zu kaufen gibt und die ausgelassene Feierlaune in der Altstadt definitiv vermissen.

Comments